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Von der Auferstehung des Knochenmanns nach dem süßen Tod bis zum ewigen Leben vor 15 Jahren
Wolf Haas‘ quasselige Brenner-Krimis und Neuigkeiten vom Wetter.


Jetzt ist hier endlich was passiert. Nicht daß Du glaubst, da hat einer den Buchdruck neu erfunden. Nein, der hat ja Gutenberg geheißen und gilt eigentlich heute immer noch. Und so einfach wäre das auch gar nicht, den Buchdruck neu zu erfinden, denn der ist ja schon erfunden. Da könnte man ja auch gleich das Rad neu er-finden oder das Automatikgetriebe oder die elektrische Dampfbürste. Passiert ist hier mehr so in dem Sinn, daß hier einer sitzt und genau das aufschreibt, was dir sonst dein Bruder oder der schöne Lenny aus dem Fußballclub oder auch der Blumen-Werner mit der Hasenscharte erzählt. Aber eben doch anders.

Also paß auf. Da sitzt mitten in Wien ein Schriftsteller, dessen Namen nach lauter Tieren klingt. So wie Bär Huhn oder Dachs Maus oder Kuh Elch. Aber der heißt eben Wolf Haas mit zwei a, deshalb auch kein Tier im direkten Sinn. Und der schreibt alles so, wie man spricht. Quasi totale Mündlichkeit, daß du denkst, du bist hier mitten im Gespräch mit deinem Frisör. Jetzt wie geht das, Bücher mit Schrift, die so klingen als würden sie reden? Ganz einfache Erklärung: Ein total allwissender, aber mindestens genauso unbedarfter Erzähler. Wenn Du den hast, dann kannst du so Sätze schreiben wie: „Und fertig ist die Nierenbeckenentzündung.“ Oder auch: „Und neben dem Fux Andi ist die handlose Deutsche in der Honigwaschmaschine gestanden und hat den Brenner durch ihre zentimeterdicken Bifokalgläser angeschaut.“ Sätze wie gespuckt. Jetzt magst du vielleicht sagen, alles nackte Rhetorik, und überhaupt: wer ist Brenner und die handlose Deutsche. Aber langsam, der Reihe nach.

Nackte Rhetorik – da könnte man schon so eine sexuelle ding raushören. Ist aber gar nicht alles nackt und Rhetorik vielleicht schon, aber die ist auch unbedingt nötig, weil du ja sonst die Figuren nicht richtig scharf bekommst. Scharf sind die, so scharf, daß Du sie allesamt vor dir siehst – und zwar in Lebensgröße. Und die ganze Szene braucht natürlich Lokalkolorit. Lokalkolorit immer gut, das kriegst du auch, wenn der Haas erzählt und zwar meterdick, frage nicht. Wie willst du auch sonst Personen wie den Lift Lois oder den Vergolder, die Bichler Anni oder ganz Zell am See anderen erklären, wenn du ihnen nicht vorher richtig aufs Maul geschaut hast. Das gilt aber nicht nur für Zell am See, sondern genauso für Wien oder die Hendl-Station in der Steiermark. Also alles österreichische Identität, aber grüß Gott! Da ist natürlich immer auch so ein bißchen Provinz-Mief dabei – aber den riechst du halt überall, der ist wie die Scheißhausfliegen, den wirst du nicht los, auch wenn du noch so feste draufhaust.

Und der Brenner natürlich Hauptperson. Nicht nur in der Auferstehung, genauso komm süßer Tod, wie die Tiere, Knochenmann und die anderen auch. Ich glaub ja nicht, daß man den Brenner als erfolgreichen Detektiv bezeichnen kann. Detektiv schon, erfolgreich weniger. Um das Erfolgreichsein geht’s auch im Grunde gar nicht. Was soll ich dir sagen? Das sind halt Geschichten, die der Haas da erzählt, wo immer mal jemand umkommt, und der Brenner muß dann zusehn, wie er alles auf die Kette fädelt. Nicht daß du denkst, alles schön der Reihe nach. Das wär ja noch einfacher. Chronologie Fehlanzeige, sag ich Dir. Da mußt du schon mal selbst aufpassen. Sagen wir es einmal so: Die Gesetze der Abfolge, der Wertigkeit und des Schriftdeutsch, die kannst du lange suchen, fündig wirst du garantiert nicht. Aber am Ende merkst du schon: knallhart kalkulierte Konstruktion. Da steht ein Erzählgebäude, aber ohne Riß oder Loch. Nicht daß du meinst, alles im Pfusch hochgezogen. Da paßt alles, da ist das Chaos beseitigt, die Baustelle geräumt, alles besenrein. Was sag ich besenrein; makellos ist das.

Jetzt. Muß das eigentlich sein, alles mündlich, obwohl wir hier doch im Buch sind? Du darfst eines nicht vergessen. Buch längst nicht mehr, was es mal war. Kennt doch jeder einen Haufen Texte in Schriftsprache, wo nichts mehr ist wie früher. Beispiel e-mail, Beispiel Einkaufszettel, Beispiel sms, Beispiel überhaupt. Da stehen doch auch Allgemeinplätze, Weisheiten, Reflexionen, alles mögliche völlig gleichberechtigt nebeneinander wie die Touristen beim Lois in der Liftschlange. Da frag ich dich, wo ist sie denn die Schriftsprache? Ist doch längst abhanden gekommen oder unter die Räder oder auf den Hund oder sonstwohin. Und dann geht einer hin und schreibt Bücher, die nur umsetzen, was du überall beobachten kannst. Na bitte, was soll denn daran so verkehrt sein? Da hast du einen Ton, einen Erzählton, wie du ihn sonst so leicht nicht findest. Und überhaupt, wie die Sprache so daherkommt: Leicht wie Balsaholz und ebensofein gemasert – da sind die Österreicher unschlagbar.

Jetzt stell dir vor, daß der Haas – quasi technisches Detail – so langsam seine Sätze weiter und immer weiter schraubt, und die Worte dreht er weiter und immer weiter, bis wieder ein Stichwort fällt, und dann wird das gewendet und gedreht und eingeschlagen, bis du fast denkst: dingdong, mein lieber Herr Bernhard! Aber dann doch wieder ein bißchen anders. Denn eigentlich, und wenn man dann mal genau hinsieht, ist das natürlich nicht alles einfach nur mündlich und aus. Da ist schon ein bißchen mehr dabei.

Mehr so im Sinne von hochsolidem Faktenwissen, fest verknotet mit ebenso hochspekulativer Phantasie, das findest du in diesem rasenden Renn-Roman „Ausgebremst“. Der platzt bald vor kenntnisreicher Fachsimpelei, und tut das so selbstverständlich als wären wir am Hockenheimring. Oder nimm das neueste Buch über „das Wetter vor 15 Jahren“. Das erklär ich dir jetzt nicht im einzelnen, weil das ja schon alle Feuilletons und Radiostationen rauf – und runtergeleiert haben, bis es einem regelrecht zum Hals rausquillt. Aber da hast du ja gleich alles im Dialog zwischen dem Herrn Haas und der Frau Literaturbeilage. Da geht der Haas her und erzählt ein Interview mit sich selbst. Nein, eigentlich erzählt er eine richtig spannende Liebesgeschichte. Nein, eigentlich ist es komplizierter, das kann ich jetzt nicht gut erklären. Eigentlich legt der Haas in gewohnter Manier eher solche Wort-Sprengsätze aus. Und dann wartet er, daß der Leser einfach drauftritt, und er wird garantiert drauftreten, und – wumm! – gehen die hoch, und da wartet schon die nächste Ladung. Da merkst du doch die Nähe zwischen Lesen und Spießrutenlaufen.

Und schaust du, trotzdem macht das Spaß, wenn du so am Lesen bist, und immer alles raffiniert gebaut, alles origineller Ton, alles immer Tempo, daß es nur so flutscht. Das ist es, was ich die ganze Zeit sagen will: Daß du dieses Buch lesen sollst. Nicht nur dieses, sondern auch die andern, weil Vergnügen hoch neun und – scheiß mich an! – Literatur noch dazu. A.W.

Wolf Haas: Auferstehung der Toten (1996); Der Knochenmann (1997); Komm, süßer Tod (1999); Silentium! (2000); Wie die Tiere (2002) (alle als Taschenbuch bei Rowohlt); Das ewige Leben (2004) (Piper); Das Wetter vor 15 Jahren (2006) (Hoffmann & Campe).

Mit Dank an AMP und Grabian.



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